Das Prädikat lautet: Unbedingt sehenswert
Aus der Hüfte heraus: Maria Dorn fotografiert vom Pferd und aus dem Auto – Ausstellung in der Remiesengalerie
Der Tisch im Garten eignet sich fast für eines dieser zauberhaften Frühstücks-Stillleben, wie man sie aus der Werbefotografie kennt: Der Kaffee dampft, die Croissants leuchten goldbraun in der Morgensonne, und die Marmelade glänzt in appetitlichem Rot. Maria Dorn bleibt völlig unbeeindruckt. „Ich arrangiere in den wenigsten Fällen", berichtet sie, während sie ein Portfolio öffnet, auf dem in großen Lettern „guck, zweimal" steht. Unter diesem Titel wird die Amateurfotografin aus Großauheim demnächst in der Remisengalerie am Schloss Philippsruhe ausstellen. Prädikat: unbedingt sehenswert!
Maria Dorn hat eigentlich immer mindestens eine Kamera dabei. Wenn nicht, bereute sie das Fehlen ihres Arbeitswerkzeugs in der Vergangenheit manchmal bitterböse. „Meine Fotografie ist überwiegend lomographisch angelegt", erklärt die gelernte Fachfrau für Zahnhygiene, „die Bilder entstehen aus der Hüfte heraus vom Fahrrad, aus dem Flugzeug oder vom Rücken eines Pferdes". Über die Jahre habe sie einen Radarblick für Motive und erkundenswerte Ausschnitte der Realität entwickelt. „Wenn ich heute unterwegs bin, fallen mir selbst an altbekannten Plätzen Dinge auf, die ich früher nie sah." Das Interesse an der Fotografie erbte Maria Dorn, 1959 im beschaulichen Ingelheim am Rhein geboren, von ihrem Vater. Seit sie 1990 damit begann, sich intensiv mit dem Medium auseinander zu setzten, hat sie viele, viele Datenträger mit Bildern gefüllt. Allein 6000 sind spontan auf ihrem Rechner abzurufen. Alle verbindet ein intelligenter Blick auf die Welt. „Oft habe ich lediglich Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein", sagt Dorn bescheiden. Da sie den Auslöser meist spontan betätige, ließen sich technische Mängel ab und zu nicht vermeiden.
Bildspannung ist das erste Ziel
„Die moderne Fototechnik ist ein Segen, dem ich mich bediene", sagt Dorn. Tiefe Bewunderung empfindet sie für jene, die in den Anfängen der Fotografie mit einfachsten Mitteln auskamen oder heute bewusst traditionell arbeiten. Für sie persönlich sei Bildspannung das erste Ziel. „Es geht mir überhaupt nicht um postkartenartige Schönheit, sondern um Bilder, die über ihre Dramaturgie zum Nachdenken, zum Schmunzeln oder gar zum Handeln anregen sollen."
Die Ausstellung „guck, zweimal" besteht aus Bildpaaren. Maria Dorn erwies sich bei der Zusammenstellung des Materials als gewitzte Kuratorin für das eigene Werk. Gerade in der Gegenüberstellung gewinnen ihre ohnehin tiefgründig oder ironisch-heiter angelegten Fotos an Aussagekraft, die oftmals auf mehreren Bedeutungsebenen wirkt. Gemeinsamkeiten und Kontraste der Bilder können entweder motivischer, farblicher oder kompositorischer Natur sein.
Nie auf Motivsuche
Indem Dorn Eindrücke von arm und reich, von Grundzustand und Verwandlung oder Gesichtern der Glückseligkeit kombiniert, eröffnet sie neben Bildwelten auch vielschichtige Deutungsmuster. Manchmal schlägt sie allein über die Paarzusammenstellung sozialkritische Töne an, manchmal geht es ihr lediglich um die Vermittlung ästhetischer Werte. „Die Verbindungen zwischen einzelnen Fotos fallen mir oft zufällig auf", so Dorn, „Bildpaare, die ich gemeinsam zeige, sind meist zu völlig verschiedenen Zeitpunkten und an unterschiedlichsten Orten entstanden."
Maria Dorn geht nie auf Motivsuche. Die Motive kommen zu ihr. Ein mehrjähriger Aufenthalt in New York beflügelte ihre Lust an der Fotografie. Bereits 1996 hatte sie im Bundeswettbewerb „Blende 96" den sechsten Preis gewonnen. Zwischen 1999 und 2005, jener Periode, die sie unweit des „Big Apple" verbrachte, folgte erst der persönliche Durchbruch: Drei Gruppenausstellungen durfte sie mit einer New Yorker Künstlervereinigung durchführen. 2005 eröffneten ihr Fachjuroren zweimal die Möglichkeit, sich an größeren Präsentationen zu beteiligen. Letztlich wurde sie für ein Wohltätigkeitsprojekt der UNO als Fotografin engagiert.
„An New York liebte ich die Geräusche, Lichter und Schluchten sowie die Menschen der Stadt in all ihren Gegensätzen und ließ sie auf mich wirken", erinnert sich Dorn. Sie legte immer weniger Wert auf schöne Fotografien. „Kunst sollte eine individuelle Ausstrahlung besitzen", sagt die Autodidaktin, „sie muss anregend sein." Ihre Bilder entstanden übrigens nie primär unter künstlerischem Anspruch. „Bin ich Künstler, weil ich etwas sehe?", fragt Dorn fast provokativ. Sie ist gespannt auf ihre erste Einzelausstellung.
Dorns Bilder erheben, so will es die Urheberin, mehr den Anspruch, Kommunikationsmedium als Gegenstandsbeschreibung zu sein. Von der Präsentation in der Remisengalerie erhofft sie sich gute Gespräche mit dem Publikum - beispielsweise über „Herzsprung/Denk-mal", das einen von Kopf bis Fuß in Schwarz-Rot-Gold gekleideten Fußballfan inmitten des Berliner Holocaust-Mahnmals zeigt. Ihre Foto-Doppel verstärken sich gegenseitig oder führen die Bildideen des Partners weiter. Die Ergebnisse sind stets überraschend.
Auf Maria Dorns Frühstückstisch sind weder rasante Perspektivwechsel, noch motivische Dopplungen zu erkennen. „Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will, denn alles verschwindet", schrieb Paul Cezanne. In diesem Fall nicht: Dorns Bilder wirken appetithemmend. Mit vollem Mund spricht es sich nicht gut. Maryanto Fischer (HA/job)
Die Ausstellung „guck, zweimal" eröffnet am Samstag, 6. Oktober, um 18 Uhr in der Remisengalerie am Schloss Philippsruhe. Bis Sonntag, 21. Oktober, ist sie samstags und sonntags jeweils zwischen 15 und 18 Uhr offen. Zusätzlich zeigt Maria Dorn häufig Fotos im Blumen- und Dekorationsladen „Gänseblümchen" auf der Großauheimer Hauptstraße